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M.Weißkirchen, d. 18.6.44
Mein liebes Mädel!
Gestern war ein Feiertag für mich, denn es kam die erste Post von Dir! Tag für Tag hatte ich schon gewartet, nie stand mein Name auf dem Postzettel drauf. Ich konnte es nun nicht mehr erwarten und ging zur Schreibstube, um mich da mal zu erkundigen, ob denn tatsächlich noch keine Post für mich da wäre. Da war nun bloß das Einschreiben da, und die andere Post hatten die Burschen zu einer anderen Einheit gegeben, da sie annahmen, ich wäre nicht bei der Stammkompanie. Na, ich kann Dir sagen, ich war gleich auf Touren. Post von meiner Inge soll angekommen sein, und ich bekomme sie nicht! Da bin ich dann gleich losgesaust zu dieser betreffenden Einheit und dort fand ich dann auch tatsächlich die Post vor. Nun war ich ja glücklich, wie Du Dir denken kannst. Das Päckchen war übrigens auch dabei und dann die drei ersten Briefe. Ich stürzte mich gleich auf meine Briefe und fing an zu lesen. - 
Inge, ich war erschüttert über diese große Liebe, die mir aus Deinem Brief entgegenströmte. Was bist Du doch für eine wunderbare Frau! Inge, wenn du da plötzlich bei mir gewesen wärst, so hätte ich Dir einen langen, langen Kuß gegeben; so lang, daß wir dabei Zeit und Raum vergessen hätten. Du bist so ein liebes, feines Mädchen; Du bist so, wie ich mir früher die Frau immer vorgestellt habe, die ich finden wollte. Ich danke dem Schicksal, daß ich nun diese Idealgestalt in Dir gefunden habe. Du wärst aus meinem Leben gar nicht mehr wegzudenken. Alle meine Gedanken sind bei Dir, und all mein Streben geht da hinaus, möglichst bald in meinem Beruf vorwärtszukommen um dann endlich Dich, geliebtes Mädel, heiraten zu können. Darum dreht sich bei mir alles, und ich bin manchmal recht unglücklich, daß ich im Beruf so weit zurück bin und daß alles so ungewiß ist. Jetzt, seit ich Dich kenne, empfinde ich das erst so richtig. Mein Leben hat nur ein Ziel, und dieses möchte ich möglichst bald erreichen. Wenn man doch in die Zukunft sehen könnte! Wie schön haben wir uns die Zukunft doch immer ausgemalt, wenn wir auf dem Sofa saßen und wenn wir spazierengingen. Ob das wohl mal alles so eintrifft? Wenn es vielleicht auch nicht alles so glatt gehen wird, wie man sich das ausmalt, so muß es doch recht schön werden. Gerade duch das wechselnde Auf und Ab wird ja ein Leben erst schön. Wenn einer dauernd nur auf Rosen gebettet ist, so wird er das nie zu schätzen wissen. Der andere, der auch ab und zu die Dornen spürt, wird dagegen die Rosen, das heißt, die guten Zeiten, doppelt und dreifach so angenehm empfinden wi der, für den das ein Dauerzustand ist. So wollen wir uns auch unser zukünftiges, gemeinsames Leben vorstellen, das aufgebaut werden soll auf Liebe, Vertrauen und Treue füreinander. -
Wenn ich Deine Zeilen so gelesen habe, dann habe ich mir gedacht, daß ich die selber geschrieben haben könnte! Du empfindest so wie ich, und Dein ganzes Wesen ist dem meinen so ähnlich, wie es wohl nicht oft zwischen zwei Menschen ist. Gerade die Symetrie unseres Wesens und unseres Charakters ist es wohl, die uns einander so unentbehrlich macht. Wir haben doch so viele gemeinsame Interessen und so gleiche Anschauungen. Es ist doch in dem Vierteljahr selten vorgekommen, daß einer von uns beiden mal etwas anders wollte. Immer war ich zufrieden mir dem, was Du vorschlugst oder es war umgekehrt bei Dir so. Das war doch wirklich schön! So muß das auch sein und so soll es immer bleiben.  Auf diese Harbonie der Seele und des Charakters wollen wir mal unser gemeinsames Leben aufbauen. - 
So, kleine Inge, das war die Einleitung, und nun will ich von diesem gefühlvollen Stil mal abweichen und mal auf Deinen lieben Brief eingehen. -
Also gestern bekam ich nun die erste Post von Dir, auch der von Hanna Funke war dabei. Es war ein Glückwunschbrief zur Verlobung, wobei sie auch Dir herzlich gratulieren läßt! Sie wünscht alles Gute für unsere gemeinsame Zukunft. Nun weißt du Bescheid. - Daß uns auch jetzt noch Glückwünsche und Geschenke gebracht werden, freut mich sehr. Noch mehr würde ich mich freuen, wenn ich Dir mal wieder was schenken könnte. Wie gern möchte ich mal wieder Dein Zimmer mit Blumen ausschmücken und Dir damit zeigen, wie lieb ich Dich habe. - 
Sehr gelacht habe ich über die Szene in der Badewanne, die Du Dir so schön ausgemalt hast. Das war wirklich gut! Das mag ein tolles Baden werden, wenn wir zwei in der Wanne sitzen! Da hast Du dann anschließend mit dem Aufwischen zu tun, denn ich schätze, daß das Badezimmer dann schwimmen wird. Na, ich werde Dir dann natürlich helfen, da ich ja aller Wahrscheinlichkeit nach den größten Anteil der Schuld haben werde. Ich mache das aber dann auch gern - das Aufwischen natürlich. -
Also Inge, wenn du Ferien hast, mußt Du natürlich kommen. Das bedarf gar keiner Frage mehr. Du mußt Dir aber die Anreise selbst beschaffen, denn ich bekomme sie höchstwahrscheinlich von hier nicht, da wir nicht verheiratet sind. Wir müssen unsere Verbindung über Onkel Paul zum Landrat ausnutzen, dann muß das klappen. Tu das mal bald! Ein Zimmer bekomme ich für Dich.
Ich hatte noch einen wunderschönen Plan. Es werden nämlich von hier aller drei Wochen welche zum Attersee geschickt. Der Attersee liegt im Salzkammergut. Es soll dort herrlich sein. Ich könnte eventuell die Möglichkeit haben, nach dort zu kommen. Nun müssen wir aber erstmal sehen, wie das mit Deinen Ferien wird. Zuerst wollen wir mal Dein Kommen nach hier im Auge behalten. Es ist hier wirklich nicht schlecht. M.W. liegt in einem Talkessel. Es war früher ein kurort und die Hotels sind heute Lazarette und Führerinnenschulen. Man kann wudervoll spazieren gehen, und ich glaube, Du wirst Dich hier wohlfühlen. - 
Während ich schreibe gehe ich ab und zu zum Spind und hole mir eins von den geschickten Plätzchen. Sie schmecken wirklich gut und bald werden sie alle sein. -
Lieselotte hat also die Nachricht von ihrer Versetzung schon mitgeteilt. Das wundert mich, daß meine Mutter das so gelassen aufgenommen hat. Wahrscheinlich war sie an dem Abend von meiner Abreise noch so beeindruckt, daß sie das noch gar nicht richtig mitgekriegt hatte.
Nun bin ich ja gespannt, wie die Sache mit dem Otsch ausgeht. Lieselotte ist vielleicht ein tolles Muster! Sie ist das Gegenteil von Annemarie. Na, mir soll es auch gleich sein, was daraus wird. -
Hier habe ich mich nun schon ganz gut eingelebt. Auf der ersten Stube bin ich nicht mehr, denn da war es mir zu ungemütlich und zu laut. Auf dieser Stube ist es bedeutend angenehmer. Es sind lauter vernünftige Leute darauf. Das Schönste ist, daß es hier kein Radio auf der Bude gibt, sondern nur im Unterhaltungsraum. -
Was sagst du überhaupt zu den neuesten Ereignissen? Ob das mit der neuen Waffe wohl entscheidende wirkung hat? -
Ich bin jetzt Gefangenenwärter geworden. Einen Tag um den anderen ziehe ich mit den Arrestanten zur Arbeit. Augenblicklich müssen sie in einem Speicher Getreide umschaufeln. Da habe ich nun einen Tag Dienst und am nächsten frei. Bloß die Lauferei durch die Stadt ist nicht angenehm für mich. Ich muß doch mal zum Arzt und mir einlagen verschreiben lassen. So geht das nicht weiter!
Den Brief, in welchem ich Dich um die Bücher bat, wirst Du ja bekommen haben. Du bist gut, vonwegen gleich ein Semester überspringen. Ich werde froh sein, wenn ich da gut mitkomme. Für so einen alten Knacker ist das nicht so einfach. Jedenfalls nutze ich die Zeit aus, die mir noch zur Verfügung steht.
Heute bekam ich den Brief vom 15.6. . Er kam also, genau wie Du es gewünscht hast am Sonntag an. Du hast mir damit wirklich eine Sonntagsfreude gemacht. Nun ist es bald so,als ob wir uns beide unterhalten, wenn ich Deine Briefe so vor mir habe und diese Zeilen an Dich schreibe. Wenn ich immer so lange Briefe schreibe, dann wird mein Briefpapier bald ausgehen. Ab und zu muß ich also notgedrungen einen Feldpostbrief einschieben. 
Die Briefe von O'baum gehen nur 3 Tage bis nach hier. Das geht so einigermaßen. Den Brief von meiner Mutter habe ich heute auch erhalten. Sie schrieb mir: "Hoffentlich vergißt Du bei Deinem Glück Deine Eltern nicht, denn das würde mir sehr weh tun." Sie hängt eben sehr an mir. Es war aber doch ganz gut, daß ich von zu Hause weg kam, denn in den letzten Tagen machten sich dort Spannungen bemerkbar. So schön es zu Hause ist, für die Dauer ist es kein Zustand. Leider werde ich aber wohl doch noch längere Zeit darauf angewiesen sein. Ich werde ja wohl normalerweise auch selten wieder ein Vierteljahr zu Hause sein.
Was machen unsere Bilder? Ich bin ja gespannt, wie die geworden sind!?
So, meine Kleine, nun hast du ja lange lesen können und hoffenltich auch alles. Ich freue mich schon wieder auf den nächsten Brief von Dir!
Mit herzlichen Grüßen und vielen langen Küssen
Dein Leo
Gruß an meine Eltern!
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