Disclaimer
M.-Weißkirchen, d. 20.6.44
Meine liebe kleine Inge!
Drei Briefe bekam ich heute von Dir (16., 17., 18.6.). Hab recht herzlichen Dank dafür, ich habe mich sehr darüber gefreut. Ich hatte Arbeitsdienst mit meinen Arrestanten in einer anderen Kaserne. Ein Obergefreiter sollte mir meine Post holen, doch der kam zurück und sagte, daß für mich keine da wäre. Da war ich natürlich enttäuscht, denn ich hatte mit Post von Dir gerechnet! Als ich abends nach Hause kam, lagen aber Deine 3 Briefe auf meinem Bett! Da war nun die Freude doppelt groß.
Kleines Mädchen, in was für Aufregung habe ich Dich da mit dem Urlaub gebracht! Ich glaubte ja selber nicht, daß das klappen würde und hatte ernstlich auch gar nicht damit gerechnet. Versuchen kann man so etwas ja mal.
Daß Du so einen unangenehmen Traum gehabt hast, tut mir direkt leid. Ich kenne das aus Erfahrung und kann es Dir also nachfühlen. Da ist man dann wirklich froh, wenn man aufwacht.
Mit den Betrachtungen über die Vorteile einer Heirat hast Du mir keinen Schreck eingejagt. So schreckhaft bin ich ja nun doch nicht. Ich muß Dir aber ehrlich gestehen: Dazu hätte ich den Mut doch nicht! Es wäre herrlich, ind ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als Dich auf der Stelle zu heiraten. Wenn man aber eine Ehe gründen will, so muß man aber doch in der Lage sein, diese auf einem einigermaßen festen Fundament aufzubauen. Es ist mir schon nicht leicht gefallen,die Erlaubnis zur Verlabung von Deiner Mutter einzuholen und ich bin sicher, daß es Deiner Mutter auch nicht ganz recht war. Ich kann das auch verstehen, denn Du bist das einzige Kind Deiner Mutter und bist in gesicherter Position, während ich nichts bin. In dieser Lage sollte ich vor Deine Mutter treten und ihr sagen, daß ich dich heiraten möchte!? Wenn es sein müßte, wäre das für mich natürlich kein Hinderungsgrund, das ist klar. Aber ich könnte es vor mir selbst nicht verantworten, eine Frau wie Dich an mich zu binden, solange die Zeiten noch so ungewiß sind. Ich verstehe Dich sehr gut, Inge, das weißt Du ja; und Du weißt auch, daß ich dich möglichst bald heiraten möchte. Im übrigen wollen wir erstmal abwarten, was uns die Zukunft bringt und dann werden wir über dieses Problem nochmal sprechen. -
Nun, mein kleines Mädchen, kümmere Dich mal um die Einreisegenehmigung. Vielleicht kann Paule Richter das vermitteln? - Schicke mir doch mal Feldpostbriefe. Wir haben im Schrank noch welche liegen. - Grüß meine Eltern u. Lieselotte und sei selbst herlich gegrüßt und geküßt von 
Deinem Leo
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